DGDSW - Teil 9

DGDSW - Teil 9

05.01.2013 19:42

Weiter geht's mit unserem geliebten Will!


Durch das Fenster fiel Modlicht in sein kleines Schlafzimmer. Will starrte seit fast einer Stunde an die Decke.
Er wusste rein gar nichts über sie, weder wo sie wohnte, noch ihre Beschäftgung. Er hatte fast nicht mit ihr geredet. Er kannte nicht einmal ihren Namen. Und trotzdem glaubte er, sie von ganzem Herzen zu lieben. War das überhaupt möglich nach so kurzer Zeit?
Eigentlich hatte er sich geschworen, nie mehr jemanden zu lieben. Es war so schrecklich schiefgegangen damals.
Nein. Er durfte sie nicht wiedersehen. Nie mehr!

Chris saß auf seinem Stammplatz und schien durch Will hindurchzustarren. Er knabberte an einer Erdbeere, die er in Daumen und Zeigefinger seiner beiden Hände hielt. Wie ein Hamster, dachte Will und musste sich beherrschen, um nicht zu grinsen. Er nahm sein Tablett und setzte sich zu ihm.
„Auch schon da?“, lachte Chris.
Will nickte kaum merklich. „Warum essen Sie immer ihre Mahlzeiten so...“
„Lass das mit dem Sie. Ich mag es nicht“, unterbrach ihn Chris. Sein Blick bereitete Will Unbehagen.
Er schüttelte den Kopf. „Es ist ein Gebot der Höflichkeit in unserer Gesellschaft. Akzeptieren Sie das.“ Will sagte das so, als hätte Chris jemals etwas so gemacht wie alle anderen.
„Ach ja?“ Chris lächelte milde. „So, wie man Meerestiere erst quält, dann tötet und schließlich so ekelhaft zubereitet, dass man sie doch nicht isst? Das ist also für dich höflich... Muss ich mir direkt aufschreiben.“
Mit schlechtem Gewissen starrte Will auf seinen Garnelensalat. Er hatte einfach irgendetwas bestellt, um... Er brauchte einen Grund, bei Chris zu sein. Nein, er liebte ihn nicht. Er wusste nicht einmal, ob er ihn mochte. Es war nur angenehm, in seiner Nähe zu sein. Als würde er mit einem unsichtbaren Schutzschild alles Böse fernhalten. Obwohl der Schutzschild so dunkel war.
Will starrte auf die Erdbeere, an der sein Gesprächspartner immer noch knabberte, und erkannte mit Ekel, dass ein Tropfen Ketchup darauf prangte.
Chris schien seinen Blick bemerkt zu haben, denn er grinste und hielt Will die Erdbeere hin. Der aber winkte dankend ab, obwohl er auch seinem Garnelensalat nicht so viel abverlangen konnte. Egal. Er würde auch ohne Essen auskommen.

„Meinen Sie wirklich, dass wir das tun sollten?“, fragte Will misstrauisch.
Grell zwinkerte ihm bloß zu und hievte sich am Fensterbrett hoch. Thomas Wallis wohnte im ersten Stock, was es für Grell und Will ziemlich einfach machte, ihn zu beobachten. Beide hockten jetzt auf dem glücklicherweise ziemlich großen Fensterbrett und spähten durch das weit geöffnete Fenster ins Zimmer.
Thomas Wallis saß an einem Tisch, den Kopf in die Arme gelegt. Er schlief. Ohne Vorwarnung hüpfte Grell in den Raum. Aufmunternd nickte er Will zu, welcher jetzt auch das Zimmer betrat.
Es war ziemlich klein und besaß nur einen protzigen hölzernen Schrank, einen Schreibisch am Fenster und ein ziemlich unbequem wirkendes Bett, das zerwühlt aussah.
Grell widmete sich gleich dem Stück Papier, das auf dem Tisch unter Wallis‘ Armen lag. Behutsam, ohne ihn aufzuwecken, zog er es hervor und begann leise vorzulesen.

Woher wusste der Mensch von diesen Dingen? Will fühlte sich plötzlich beobachtet. Es war ihm unheimlich, wie der junge Autor scheinbar sein ganzes Leben in einen Roman umwandelte.
Trotzdem: Er musste es aufschreiben.
Er hat begonnen, einen neuen Roman zu schreiben. Der Roman trägt den Titel „Die Geschichte des Shinigami Will“. Eine Geschichte über den Shinigami-Schüler Will und wie er die Leben der Menschen in Augenschein nimmt. Emotionslos betrachtet er die Seelen, die dem Tod geweiht sind – gleichgültig ob gut oder böse. Dieser Will verliebt sich in ein menschliches Mädchen; Ein Mädchen, dessen Schicksal es ist, bald zu sterben. Das Mädchen erwidert seine Liebe. Will schwankt zwischen dem Gesetz der Shinigami und seinen tiefen Gefühlen – und er wählt die Liebe. Er bricht das Gesetzund versucht, das Mädchen zu retten. Und schließlich ist da noch Wills Freund, der die beiden unterstützt: Der rothaarige Shinigami von edler Gesinnung, Grell.
Die Publikation des Romans steht fest. Abgabetermin ist der 16. Dezember um 16 Uhr.
Trotz der Bemühungen von Will und Grell stirbt das Mädchen. Will spricht zu dem Gott des Jenseits. Er
sagt, dass er bereit ist, statt des Mädchens seine eigene Seele zu opfern. Und so kommt es, dass das Leben des Mädchens gerettet wird. Unter einer Bedingung: Dass alle Erinnerungen an Will gelöscht werden. Doch das war ihm gleich, denn selbst wenn alle Erinnerungen fehlen, bleibt doch im tiefsten Grunde der Seele ein Gefühl der Liebe verankert – und das kann von niemandem gelöscht werden.
Will verschwindet und das Mädchen kehrt ins Leben zurück. Es verliebt sich ganz normal, bringt ein Kind zur Welt und gibt ihm den Namen Will.

Will zitterte. Das war alles nur ein Zufall, ein lächerlicher Zufall, um den er sich wirklich keine Gedanken machen musste.
Es war inzwischen dunkel und sein Magen knurrte. Als er auf die Uhr sah, bemerkte er, dass er tatsächlich vergessen hatte, zu Abend zu essen.
Schnell klappte er sein Beobachtungstagebuch zu, verstaute es in einer Schublade und machte sich auf den Weg zum Kühlschrank. Doch der war praktisch leer. Zu dumm, er hatte schon den ganzen Tag nichts gegessen und war ziemlich ausgehungert... Aber diese Nacht würde er sicher auch noch durchstehen.

*
Der Mond beleuchtete den kleinen Pfad und die Landschaft runderhum. Die vielen kleinen Steine taten weh auf ihren unbekleideten Füßen. Zum Glück war es nicht mehr weit, sie konnte schon den großen Hügel sehen... Auch das Kreuz war da. Ihr Kreuz.
Sie kam ihm immer näher, fing zu laufen an. Nasse Grashalme. Kalter Nachtwind. Tierlaute in der Ferne. Wolken, die den Mond verhüllen. Dunkelheit. Das Gras wurde zu einem Hügel. Steil hinauf. Schneller Atmen.
Und dann... war sie da.
Es war eine unglaubliche Aussicht hier. Man konnte den Wald sehen, von dem sie gekommen war, die Felder, die Lichter der Stadt.
Und das Kreuz war wunderschön. Aus Holz, mit blumenförmigen Verzierungen und bis ins kleinste Detail kunstvoll ausgearbeitet. Die Aufschrift lautete: Hier ruht sie.
Sie. Sie hatte nicht einmal einen Namen. Warum? War sie so unwichtig? Gab es nicht eine Person, die sie sie so sehr liebte, dass sie ihr alles anvertrauen und sich bei ihr sicher fühlen konnte? Wie ein Mensch?
Nein. Sie hatte niemanden. Selbst Will durfte sie nichts erzählen. Ihrem Will.
*

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  • Erstellt von Broitney In der Kategorie Allgemein am 05.01.2013 19:42:00 Uhr

    zuletzt bearbeitet: 05.01.2013 19:42
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